Im mittleren und nördlichen Bolivien vom 9.8.2012 bis 18.9.2012

Sucre, die Hauptstadt Boliviens, gefällt uns gut. Wir nutzen das Camping im Garten des Hochschulpro-fessors Don Alberto und seiner Frau Felicidad ausgiebig. An einem Abend haben wir auch Gelegenheit, einem kulturellen Anlass beizuwohnen. Die Schüler der Ballettschule zeigen zu mehrheitlich klassischer Musik ihr Können. Don Alberto nutzt seine Zeit wenn er keine Studenten zu betreuen hat, um in der Werkstatt in seinem Garten defekte Motoren neu zu wickeln. Die dazu notwendigen Einrichtungen hat er selbst aus Deutschland importiert. Für Bolivien ist ganz typisch, dass alle möglichen Dinge noch repariert werden, die in Europa längst weggeworfen werden.

 

Am 11. August verlassen wir Sucre in Richtung Aiquille, Cochabamba. Ein Stück weit ist die Strasse noch asphaltiert. Dann wird sie zur Naturstrasse in verhältnismässig gutem Zustand. Wir können gut mit 40km/h fahren. Wir übernachten bei der Tankstelle in Aquille. Diesel bekommen wir nur in Kanister, da ausländische Fahrzeuge hier nicht tanken können.

 

Auf dem Weg von Aquille nach Cochabamba, liegt ziemlich abseits eine ehemalige Inca Siedlung, Incallajta, auch als kleines Machupichu bezeichnet. Im Gegensatz zu letzterem ist es kaum touristisch und wohl nur selten verirren sich Touristen hierher. Als wir unterwegs nach dem Weg fragen, kommen wir mit einem 29 jährigen Bauern ins Gespräch. Nach dem üblichen Woher und Wohin, will er mehr über unser Herkunftsland wissen. Er weiss dass es in der Schweiz Banken, Uhren und Schokolade gibt und man dort sehr hohe Löhne bekomme. Er fragt uns, wie hoch den ein durchschnittlicher Monatslohn in der Schweiz sei. Wir sind vorsichtig und sagen 7000 Bv (=1000 sFr.) pro Monat,. Das ist für ihn sehr viel. Wir erfahren erst später, dass das für bolivianische Verhältnisse auf dem Land ein sehr hoher Monatslohn wäre.Gerne möchte er in die Schweiz arbeiten kommen und fragt uns, ob wir ihm dabei helfen könnten. Da können und wollen wir allerdings nicht weiter helfen und greifen so erstmals zum Trick mit den Pseudo-Visitenkarten, die wir für solche Zweck dabei haben. Wir staunen über sein Allgemeinwissen und fragen ihn, ob und wo die Kinder zur Schule gingen. Er sagt uns, Schulbesuch sei jetzt für alle Kinder obligatorisch und in Spanisch. Die Schule sei 10km entfernt, die Kinder brauchten für einen Weg 2.5 Stunden.

 

Auf der Weiterfahrt nach Cochabamba sehen wir riesige Rauchwolken und denken an einen Waldbrand. Später sehen wir unsere Vermutung im Fernsehen bestätigt und vernehmen, dass zur Bekämpfung ein Armeehelikopter eingesetzt wird.Von anderen Reisenden haben wir den Tipp erhalten, in Cochabamba bei der Talstation der Luftseilbahn zu übernachten. Man könne auch tagsüber das Fahrzeug dort stehen lassen. Wir finden den Ort rasch und der Chef der Bahn begrüsst uns freundlich. Er lädt uns ein, hier zu stehen und versichert uns, seine Leute würden unser Fahrzeug während unserer Abwesenheit bewachen. Bald sehen wir, die Luftseilbahn wurde von Caraventa gebaut, die in unserem Wohnort Goldau ihren Sitz hat. Die Angestellten der Bahn sind erfreut, Leute aus dem Ort des Herstellers ihrer Bahn zu treffen. Mindestens so erfreut sind sie auch über unseren Duro. Alle legen sich unter unser Fahrzeug um die Technik zu studieren. In einem Restaurant bekommen wir ein gutes Mittagessen für umgerechnet sFr. 1.40. Später vernehmen wir vom kürzlichen „Wasserkrieg“ in Cochabamba. 1999 wurde die Wasserversorgung der 860'000 Einwohner zählenden Stadt privatisiert und die Konzession an eine Gesellschaft in den USA vergeben. Diese verdreifachte innerhalb kürzester Zeit die Wasserpreise. Die Wut der Bevölkerung richtete sich nicht nur gegen diese Preissteigerung, sondern auch gegen die gleichzeitig erlassenen Gesetzte, wonach jede Versorgungsleistung mit Trinkwasser genehmigungspflichtig wurde. Selbst das Sammeln von Regenwasser wurde genehmigungspflichtig. Die wütenden Bewohner verlangten Verhandlungen mit der Regierung. Diese ignorierte jedoch jegliche Kritik und schickte stattdessen Militär nach Cochabamba. Der Konflikt eskalierte und fand seinen Höhepunkt im April 2000, als Demonstranten durch das Militär erschossen wurden. Als die Lage vollends ausser Kontrolle zu geraten drohte, lenkte die Regierung ein und erfüllte die Forderungen der Bevölkerung. Die Gesetzte wurden überarbeitet und die Konzession an das private Unternehmen zurückgezogen.

 

Im Reiseführer haben wir gelesen, jedes Jahr finde vom 15. bis 17. August das grösste und wichtigste Fest der Stadt, die Fiesta de la Virgen de Urkupiña, das auf eine Marienerscheinung zurückgeht. Zwar sehen wir im Zentrum der Stadt eine Parade von Politikern und Militär, nach 3 Stunden ist aber alles vorbei. Auf der Information zeigen sie uns auf dem Stadtplan zwei Stellen, wo, soweit wir verstehen, das Fest stattfinden soll. Beide entpuppen sich aber als nicht abgesperrte Strassen mit dem üblichen Verkehr. Als wir am nächsten Tag weiterfahren, merken wir, dass die Festivitäten in Quillacollo und nicht Cochabamba stattfinden. An den bezeichneten Stellen fahren die Busse in den Nachbarort, dessen Namen wir nicht kannten.

 

In La Paz wollen wir am Duro ein paar Servicearbeiten wie Ölwechsel erledigen lassen. Unter Reisenden kennt man dazu DIE Werkstatt von Ernesto Hug. Ernestos Eltern wanderten aus der Schweiz aus nach Bolivien. Ernesto kam als Jugendlicher nach Luzern um die Lehre als Automechaniker zu machen. Anschliessend baute er in La Paz seine Autowerkstatt nach schweizerischem Standard. Das bedeutet, gearbeitet wird nicht am Strassenrand sondern in einer Halle mit sauberem, betoniertem Boden, alles ist aufgeräumt und es stehen gute Werkzeuge und Einrichtungen zur Verfügung. Natürlich sind bei Ernesto die Stundenansätze höher als sonst in Bolivien, mit umgerechnet etwa sFr. 15.- aber für uns immer noch bescheiden. Wir treffen am Freitag Mittag bei Ernesto ein und hoffen, für Montag einen Termin festlegen zu können. Das geht problemlos und Ernesto bietet uns an, über das Wochenende im Reisemobil in der Werkstatt zu wohnen. Da hat es Wasser, Toilette, Strom, wir sind sicher hinter Mauern mitten in der Millionenstadt La Paz und das zum Nulltarif. Welche Schweizer Werkstatt würde wohl zwei fremden Ausländern soviel Vertrauen entgegen bringen?

 

Im Kunstmuseum in La Paz sehen wir eine Ausstellung von Alexandra Bravo. Die Künstlerin ist selbst anwesend und wir kommen mit ihr ins Gespräch. Sie flüchtetet mit ihrer Mutter 1971 von La Paz nach Chile, da ihr Vater, ein Hochschulprofessor, als Kritiker der bolivianischen Regierung unbequem war und deshalb von ihr ermordet wurde. 1973 flüchteten sie vor Pinochet erneut, diesmal in die Schweiz. Heute lebt sie in Fribourg.

 

Nach Abschluss der Servicearbeiten wollen wir noch etwas in die Höhe fahren. La Paz liegt in einem riesigen Talkessel. Der höchste Punkt liegt bei 4100m, der niedrigste rund 1000m tiefer. Unsere Fahrt aus der Stadt zieht sich in die Länge. Das Verkehrschaos ist riesig und wir brauchen für die ersten 20km fast 4 Stunden. Anschliessend kommen wir gut voran und über viele Serpentinen erreichen wir Chalcaltaya. Aus 5263m.ü.M. haben wir eine wunderbare Aussicht auf La Paz und die umliegenden Berge. Damit haben wir unseren wohl höchsten Punkt der gesamten Reise erreicht. Schon bei der kleinsten Anstrengung kommt man ins Schnaufen und Margrit läuft viel langsamer aufwärts als sonst. Der Duro fährt brav den Berg hoch, noch mit ganz passabler Leistung, sobald der Turbo läuft.

 

Unser nächstes Ziel ist der Stellplatz beim Hotel Oberland, in einem am Rande von La Paz liegenden Stadtteil. Der Besitzer, Walter Schmid, ist auch wieder ein ausgewanderter Schweizer. Wir fühlen uns gleich wohl und treffen auf zwei andere Reisende, Holger und Konstanze, denen wir schon früher begegnet sind. Wir geniessen die gute Infrastruktur und das mit WIFI verfügbare Internet. Zu Fuss besuchen wir den naheliegenden Zoo Malasa mit vielen in Bolivien heimischen Tieren. Als wir am Montag abfahren wollen, erleben wir zum ersten Mal eine, für Bolivien nicht ungewöhnliche Strassenblockade. Busse, Lastwagen und Autos blockieren ganz in der Nähe des Oberland die Strasse. Sie demonstrieren wegen der schlechten Strassen in diesem Stadtteil. Wir haben allerdings in Bolivien schon viel Schlimmeres gesehen. Später erfahren wir, die Blockade soll drei Tage dauern. Eine Umfahrungsmöglichkeit gibt es nicht. Also warten wir halt. Schon am nächsten Morgen sehen wir, wie die Blockade abgeräumt wird. So können wir noch am Vormittag La Paz verlassen Richtung Caranavi, Rurrenabaque.

 

Nach La Paz geht es zunächst einmal aufwärts, auf den Paso Cumbre mit 4650m, bevor es ins bolivianische Tiefland auf unter 1000m hinunter geht. Nun kann man wählen, die neue, asphaltierte Strasse oder die berühmt berüchtigte Todesstrasse nach Coroico, die als die gefährlichste Strasse der Welt bezeichnet wird. Sie wurde 1930 Jahren während des Chacokrieges von paraguayischen Häftlingen erbaut. Sie verbindet den Amazonas-Regenwald im Norden Boliviens mit La Paz. Wir entscheiden uns, die Todesstrasse kurz nach Tageseinbruch aufwärts zu befahren. Da auf der Strasse Linksverkehr herrscht, man so auf der Bergseite fährt und zudem Vortritt hat, finden wir es die beste Methode. Das bewährt sich am nächsten Tag. Von 1212m fahren wir auf 3175m auf der teilweise schmalen, steilen und ohne Abschrankungen versehenen „ruta de la muerte“ praktisch alleine. Erst ganz am Ende der knapp 70km kommen uns kurz nach 10 Uhr ein paar Velofahrer entgegen. So empfinden wir die Strecke als nicht sehr gefährlich. Ein Blick in die Geschichte gibt ein anderes Bild. Am 24. Juli 1983, stürzte ein Bus in eine Schlucht und riss die 100 Insassen in den Tod. Einer Schätzung zufolge verunglückten bis 2007 pro Monat zwei Fahrzeuge und starben jährlich 200 bis 300 Reisende auf der Strasse. Zahlreiche Kreuze am Strassenrand markieren die Unfallstellen.

 

Eigentlich haben wir uns vorgenommen, möglichst nur tags zu fahren. Unvermittelt werden wir aber zu Nachtfahrten gezwungen. Wegen einer 200km langen Baustelle ist die Strasse von 6 bis 16 Uhr vollständig gesperrt. Weil die Strasse sehr schlecht ist, benötigt man für die 200km etwa 10 Stunden. So sind wir erstmals froh um unsere Zusatzscheinwerfer die wir oben montiert haben. Damit können wir die Löcher und abgerutschten Strassenteile rechtzeitig erkennen und kommen sicher durch das üble Strassenstück.

 

In Rurrenabaque treffen wir einen weiteren ausgewanderten Schweizer. Der Bauingenieur Jürg Steiger hat hier aus einem Stück Urwald eine wunderschöne kleine Hotelanlage mit Restaurant, Gästehäuschen, Schwimmbad und Camping gemacht. Wir bleiben 2 Wochen bei Jürg, so gut gefällt es uns. Einen Tag arbeitet Margrit auf der Baustelle einer Wasserfassung. Mit dem Hammer hilft sie den Bauarbeitern Steine zu zertrümmern, da es keine Strasse dorthin gibt, auf der man Kies zubringen kann. Wir lernen auch eine deutsche Entwicklungshelferin kennen und unterhalten uns stundenlang mit ihr über ihr Leben und ihre Arbeit in Rurrenabaque.

 

Für 3 Tage lassen wir unseren Duro alleine auf dem Camping stehen und machen eine Tour in den Urwald. Auf einer 3-stündigen Bootsfahrt kommen wir in die Urwaldunterkunft. Dabei sehen wir im und neben dem Fluss hunderte von Kaimanen, eine Krokodilart. Teilweise kommen wir so nahe an sie heran, dass wir sie berühren könnten. Das unterlassen wir aber lieber, obwohl die Tiere Menschen nicht angreifen. Daneben sehen wir viele weitere Tiere wie Capybaras (Wasserschwein), rosa Delfine, Papageien und viele andere Vögel. Peter und Margrit sind beim weitem die ältesten Teilnehmer in der Gruppe von 9 Personen. Der Führer spricht gut Englisch und kennt sich in der Natur gut aus. Wir übernachten in der Urwaldlodge, die natürlich nicht für Rollstuhlfahrer gebaut ist. Mit vereinten Kräften schaffen wir alles. Am nächsten Tag geht die Gruppe ohne Peter auf Schlangensuche in sumpfiges Gebiet. Margrit ist nicht unglücklich darüber, dass die Schlangen sich versteckt halten. Der Ausflug ist eine ziemliche Anstrengung und die Hitze macht allen Teilnehmern ziemlich zu schaffen. Weniger anstrengend ist am Nachmittag das Fischen von Piranhas. Dabei fängt Margrit den ersten Fisch in ihrem Leben.

 

Von Rurrenabaque aus fahren wir weiter auf der Urwaldpiste Richtung Riberalta. Für die ersten 100km brauchen wir 3.5 Stunden. Danach wird die Piste besser und wir kommen gut voran. Auf der wenig befahrenen Strasse treffen wir auf einen Lastwagen, der wegen eines Defektes liegen geblieben ist. Wir nehmen Fahrer und zerbrochene Teile mit, damit er sie im 150km entfernten Riberalta schweissen lassen kann. Vor Riberalta biegen wir nach Westen ab, denn wir wollen weiter nach Peru. Allerdings gibt es in dieser Gegend keinen internationalen Grenzübergang und so müssen wir in Cobija ausreisen nach Brasilien und rund 100km später bei Assis Brasil in Peru einreisen. Auch da ist es immer noch heiss, um die 38 Grad. Die Strasse ist aber asphaltiert und wir beginnen den vielen Staub abzuschütteln, den wir auf den letzten 1000km Piste aufgenommen haben.

 

Während wir entspannt auf der brasilianischen Strasse fahren, sehen wir vor uns plötzlich etwas durch die Luft fliegen. Dann steigt zuerst schwarzer und dann grauer Rauch auf. Sekunden später sehen wir die Ursache. Ein schrecklicher Unfall. Ein Krankenwagen liegt schwer beschädigt neben der Strasse, wir sehen Feuer und Rauch aufsteigen. Wir können rechtzeitig anhalten und Margrit rennt mit dem Feuerlöscher zum Krankenwagen. Zwei leicht Verletzte können trotz ihrem Schockzustand sagen, dass sich insgesamt 3 Leute im Fahrzeug befunden hätten. Schnell findet Margrit die dritte Person, die Krankenschwester des Krankenwagens. Sie wurde aus dem Auto geschleudert. Sie hat schwere Kopfverletzungen, ein blutüberströmtes Gesicht, keine Atmung, kein Puls. Sie ist tot. - Es gelingt das Feuer zu löschen. Ein weiteres Fahrzeug bringt die Verletzten ins 70km entfernte Spital. Aus derselben Distanz wird auch die Polizei gerufen.

 

In gedrückter Stimmung fahren wir weiter. Ein tragischer Verkehrsunfall. Wären wir 30 Sekunden früher an der Stelle gewesen, wäre das Ambulanzfahrzeug in uns geflogen. Leider haben wir der Krankenschwester nicht mehr helfen können. Am Abend treffen wir zufällig jemanden, der die Frau und ihre Familie persönlich kennt. Für uns geht die Reise weiter. Über zwei grosse neue Brücken kommen wir nach Peru, in die Urwaldstadt Puerto Maldonado.